30. Juni 2010

Keine WM mehr ohne Atomstrom

Wie eine perfide Werbekampagne versucht, mit der WM Sympathien für Atomstrom zu gewinnen

Die Zeitschrift bezeichnet sich als "Debattenmagazin" und fällt vor allem dadurch auf, dass sie zu jedem Standpunkt erst einmal einen Gegenstandpunkt bringt. Aus Prinzip. Soll keiner sagen, man habe das Zwar-Aber-Konzept nicht brutalstmöglich verinnerlicht. Darum propagiert das Impressum auch in großen Lettern das Credo der Publizisten: für Fortschritt und Humanismus zu streiten und für eine bessere Zukunft durch mehr Wachstum und Freiheit für alle. Für Freiheit können alle sein, allein beim Begriff Wachstum scheiden sich die Geister.

Erst recht, wenn es um das Wachstum der Atomindustrie geht. Die natürlich – in der Logik des auf Profitmaximierung ausgelegten Kapitalismus – auf Expansion drängt. Gerade jetzt, wo die fossilen Ressourcen in Verruf geraten sind und knapper zu werden drohen. Da ist dann auch jedes Werbemittel recht, und sei es auch nur in Form einer unscheinbaren Postkarte.


Die ist auf der einen Seite fußballrasengrün und stellt die maoam entliehene Frage: "Wollt Ihr Verlängerung?" Die Kehrseite nimmt einem aber auch sogleich die Antwort ab: "Ja!" schreit es einem entgegen, und zwar: "Weil wir auch in der Zukunft bei Weltmeisterschaften vor dem heimischen Fernseher mitfiebern wollen." Das unterstellt ohne zu fragen gleich mehrere Dinge.

Zum einen wird mit der verbalen Umarmungstaktik ("wir") versucht, das derzeitige WM-Nationalgefühl zu funktionalisieren zu einem allgemeinen, zu einem Sind-wir-nicht-alle-auch-nach-der-WM-DEUTSCHE. Das sind WIR laut Reisepassangabe denn auch tatsächlich, aber dass tatsächlich alle 80 Millionen hierzulande Lebende auch wirklich Fußball glotzen WOLLEN, ist denn doch eine grobe Unterstellung. Zum anderen suggeriert die Zeitadverbiale "in der Zukunft" – man beachte das staatstragend-pathetische "der" – eine mögliche Bedrohung aus der Gegenwart heraus; eine Bedrohung, die – so assoziiert man – darin besteht, dass es durchaus sein kann, dass es irgendwann keine TV-Bilder von Weltmeisterschaften mehr gibt. Es sei denn – und jetzt wird’s pathologisch – man begibt sich ins Ausland! Denn das könnte man noch, wenn der "heimische" Fernseher keine Bilder mehr liefert.

Aber warum ins Ausland abwandern? Wieso sollte es bei uns denn kein Fernsehen mehr geben? – Die Erklärung folgt im nächsten Absatz. "Die Kernenergie liefert Tag für Tag zuverlässig Strom in Deutschland – und das seit Jahrzehnten. Jedes der 17 deutschen Kernkraftwerke versorgt rechnerisch im Schnitt jährlich 50 Millionen Fernseher oder 2.5 Millionen Haushalte mit Strom." Da haben wir's wieder – Otto Mohl fühlt sich wohl nicht nur am Pol mit Atomstrom.

Ohne Atom also keine WM! Wobei es die restlichen TV-Geräte der deutschen Fußballnation doch auch geschafft haben, sich mit Nicht-Atomstrom zu versorgen und Bilder widerzugeben... Fürchtet da jemand vielleicht bloß Konkurrenz? Ist es der Neid der Noch-nicht-Monopolisten? Egal, es gilt mit dem Appell an niedere TV-Sehinstinkte und das Wir-sind-doch-auch-noch-wer-Gefühl mehr Druck auf die Öffentlichkeit, auf alle, auf jeden einzelnen von uns en bloc zu erhöhen: "Auf diesen Beitrag zu unserem Strommix können und wollen wir nicht verzichten."

Perfide? Ja, schon auch noch deshalb, weil das anfangs an uns gerichtete WIR am Ende vermengt wird mit dem "wir" der Atomstromerzeuger! Sag ich JA zur Fußball-WM, sag ich JA zu Atomstrom. So haben wir nicht gewettet.

Aber es passt dann auch, dass die grüne (!) Postkarte in besagtem Magazin ausgerechnet (!!) zwischen den Seiten steckt, auf denen ein gewisser Rob Lyons "Tschernobyl vom Mythos befreien" möchte. Denn Tote hin oder her – sooo schlimm war der Unfall in der Ukraine damals gar nicht. Um das Kernkraftwerk herum hat sich im 30-km-breiten Sperrgebiet eine "grüne und ansprechende Landschaft" geformt, ein "gigantisches Naturschutzgebiet" ist's geworden, und die Atomtechnik so sicher, dass es nur eine energetische Heilsbotschaft geben kann: "Wir sollten so bald als möglich neue Kernkraftwerke bauen." Dann fühlt sich nicht nur Otto Mohl wohl, wenn die deutsche Nationalmannschaft um Titel kämpft.